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Reproduktive Selbstbestimmung

218 StGB

Seit 1871 legt der Paragraf 218 des Strafgesetzbuches (StGB) den Schwangerschaftsabbruch als Straftat gegen das Leben fest.

Auch wenn ein Abbruch mittlerweile unter bestimmen Bedingungen straffrei ist, bleibt er grundsätzlich rechtswidrig. Seit über 150 Jahren werden ungewollt Schwangere und sie versorgende Ärzt*innen kriminalisiert und eine wichtige Gesundheitsleistung stigmatisiert.

Damit kommt die Bundesrepublik Deutschland dem Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) nicht nach. Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, den Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen ohne verpflichtende Beratung oder Wartezeit sicherzustellen, die von der Krankenkasse übernommen werden.

Artikel 12 Abs. 1 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (CEDAW) von 1979, zu dessen Vertragspartnern Deutschland seit der Ratifizierung 1985 gehört, besagt ausdrücklich:
„Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau im Bereich des Gesundheitswesens, um der Frau gleichberechtigt mit dem Mann Zugang zu den Gesundheitsdiensten, einschließlich derjenigen im Zusammenhang mit der Familienplanung, zu gewährleisten.

Auch im 21. Jahrhundert weigern sich viele Mediziner*innen aus ideologischen Gründen Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, wie die European Pro-Life Doctors oder der Bund Katholischer Ärzte in Deutschland. Gerade in ländlichen Regionen ist es auch in Deutschland immer noch schwierig, angemessene Versorgung zu erhalten, denn aufgrund fehlender Ausbildung im Studium bieten nicht alle Ärzt*innen diese Gesundheitsleistung an. Das Bedrohungsszenario von Abtreibungsgegner*innen gegen Schwangere und Ärzt*innen erzeugt ein Klima der Angst. All dies führt dazu, dass die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland seit Beginn der 2000er Jahre einem rückläufigen Trend folgt.

Ein Blick auf andere europäische Länder wie Irland, Portugal und die skandinavischen Länder zeigt, dass eine Verankerung im Strafgesetzbuch nicht notwendig ist. 2018 gelang es der irischen Bevölkerung, nach 45 Jahren eines der strengsten Abtreibungsverbote in Europa durch eine Legalisierung innerhalb der ersten 12 Schwangerschaftswochen zu ersetzen.

Der Deutsche Frauenring macht deutlich: 150 Jahre sind genug! Es ist endlich an der Zeit für eine außerstrafrechtliche Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen, denn reproduktive Rechte sind Menschenrechte. Der DFR solidarisiert sich mit allen Organisationen und Einzelpersonen, die sich gegen die Kriminalisierung und Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen einsetzen. Daher unterstützen wir den Aufruf des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung: https://wegmit218.de/aufruf/

Am 20. Mai 2021 veröffentliche der DFR eine Stellungnahme zu 150 Jahre § 218 StGB – 150 Jahre sind genug! Sie können sie hier und auch bei unseren Positionspapieren finden. Des Weiteren war der DFR im August 2021 beim Fachkongress „150 Jahre § 218 StGB“ vertreten. Weitere Informationen finden Sie hier: https://www.150jahre218.de/

Zur Streichung der §§ 218 ff. StGB verschickte der Deutsche Frauering e.V. im November 2021 ein Schreiben mit dem Anliegen und Forderungen an die Verhandlungspartner*innen der Koalitionsverhandlungen 2021.
Das Schreiben als PDF

219a StGB

Paragraf 219a Strafgesetzbuch (StGB), eingeführt 1933 unter dem NS-Regime, untersagt das „Werben“ für Schwangerschaftsabbrüche:

„Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise
1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder
2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

In der Folge dürfen Ärzt*innen und nicht-staatliche Beratungsstellen öffentlich nur sehr eingeschränkt über Schwangerschaftsabbrüche informieren.

Der Paragraf hat daher schwere Folgen für Schwangere und Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen und über Behandlungsmethoden informieren.

Von vielen war § 219a StGB für Jahrzehnte vergessen oder unbeachtet. Seit einigen Jahren nutzen ihn verstärkt Abtreibungsgegner*innen, um Anzeigen gegen Ärzt*innen wegen Verstoßes gegen das Gesetz zu erstatten, mit dem Ziel, ihre Verurteilung in kostenintensiven und zeitraubenden Strafprozessen zu erzielen. Diese Entwicklung führt zu Verunsicherung bei Schwangeren, Ärzt*innen, aber auch Beratungsstellen. Vor allem geht sie mit einer Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen einher und verhindert den unmittelbaren Zugang zu angemessener Information für Schwangere. Frauen werden dadurch in ihrem Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung, auf gesundheitliche Unversehrtheit, sowie Informationsfreiheit und Entscheidungsfreiheit behindert.

Der Deutsche Frauenring veröffentlichte im Juni 2020 eine Stellungnahme zum Thema § 219a, die Sie hier finden.

Zu den verurteilten Ärzt*innen gehört Kristina Hänel. Die Ärztin wurde 2017 auf Grundlage des § 219a StGB zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie auf ihren Internetseite angegeben hatte, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen und über die Methode informierte. Der Deutsche Frauenring ernannte 2019 und 2020 Kristina Hänel zur „Frauenringsfrau“, für ihr unermüdliches Engagement für Selbstbestimmungsrechte von Schwangeren und gegen den § 219a StGB. Seit der Reform wurden in verschiedenen Prozessen mehrere Ärztinnen, so auch Kristina Hänel in der Neuverhandlung ihres Falls vor dem Gießener Landgericht, wegen des Verstoßes gegen § 219a StGB verurteilt.

DFR unterstützt Strafanzeige des Instituts für Weltanschauungsrecht in der Sache Kristina Hänel

Im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung findet sich endlich ein lang erkämpfter Absatz, der bei Frauenrechtler*innen zu Jubel führte: „Ärztinnen und Ärzte sollen öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen. Daher streichen wir §219a.”

Unter der vorhergehenden Großen Koalition konnte sich 2019 lediglich auf eine Änderung des Paragrafen geeinigt werden, die Ärzt*innen und Einrichtungen den Hinweis auf Schwangerschaftsabbrüche erlaubt (§ 219a Absatz 4; Stellungnahme des Deutschen Frauenrings hier). Mehrere Gesetzentwürfe zur Streichung des Paragrafen wurden damals hingegen abgelehnt.

Die Streichung des § 219a ist ein großer Schritt in die richtige Richtung und konnte nur durch die unermüdliche Arbeit vieler Organisationen und Einzelpersonen erreicht werden. Darunter unter anderem die folgenden:

  • Der Präzedenzfall Dr. Hänels und ihre Kampagne zur Streichung des § 219a StGB führte zu einer öffentlichen und politischen Diskussion über das Gesetz und zu Forderungen nach seiner Abschaffung.
  • Im November 2019 übergab die CEDAW-Allianz Deutschland anlässlich des 40. Jubiläum der UN-Frauenrechtskonvention CEDAW und des 25. Jubiläums der Pekinger Erklärung und Aktionsplattform der Bundesregierung ihre Stellungnahme zum Umsetzungsstand von CEDAW in Deutschland, in der sie die Kriminalisierung von Schwangeren und Ärzt*innen deutlich formuliert. Der Deutsche Frauenring ist Mitglied der CEDAW-Allianz Deutschland.
  • Anfang Februar 2020 übersandte die German Alliance of Choice einen Alternativbericht zu den Folgen der aktuellen Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch §§ 218 und 219a StGB an den zuständigen CEDAW-Ausschuss über die Umsetzung der CEDAW Frauenrechtskonvention. Dieser Bericht weist erneut auf die unzureichende Umsetzung von CEDAW in Deutschland im Bereich reproduktive Rechte hin. Der Deutsche Frauenring unterstützt den Bericht der German Alliance of Choice.

Im Februar 2022 reichte der Deutsche Frauenring e.V. eine Stellungnahme zum Referentenentwurf zur Streichung des § 219a StGB ein. Diese längst notwendige Gesetzesänderung ermöglicht es Ärzt*innen nun endlich, Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen öffentlich zu machen, ohne dafür kriminalisiert und strafrechtlich verfolgt zu werden.
Die Stellungnahme als PDF.

Wir begrüßen die Entscheidung der neuen Bundesregierung für mehr körperliche Selbstbestimmung. Doch die Arbeit ist noch nicht getan! Solange der § 218 im Strafgesetzbuch bestehen bleibt, bleibt Schwangeren das Menschenrecht auf eine sichere Gesundheitsversorgung verwehrt. Dies formulierten wir in einem Brief an die Verhandlungspartner*innen der Koalitionsverhandlungen im November 2021, den sie hier finden.

Der Deutsche Frauenring fordert daher

  • eine restlose Streichung des § 218 StGB,
  • den zeitnahen und unbeschränkten Zugang für Schwangere zu ausführlichen Informationen über Schwangerschaftsabbruch,
  • die vollständige Umsetzung des CEDAW-Abkommens,

sowie die Entstigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen.